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Sebastian Deisler

Diesen Post widme ich dem ehemaligen Fußballprofi Sebastian Deisler.

Er war auf dem Fußballfeld ein hochsensibler Spieler, der seine Mannschaftskollegen bis ins Detail genau kannte und von jedem einzelnen wusste, zu welchem Zeitpunkt der Ball wo zu sein hatte, damit das Tor fällt. Diese genauen Pässe und eine unglaubliche Intuition zeichnen hochsensible Spieler wie Sebastian Deisler aus.

Dabei hören hartgesottene Fußballer das Wort hochsensibel nicht gerne, da es mit dem Sensibelchen, mit empfindlich sein und schwach sein verwechselt wird. Für diejenigen habe ich ein anderes Wort parat: Lest anstatt „hochsensibel“ einfach „wahrnehmungsstark“, das trifft es für diese Klientel eher 😉 Hochsensibilität bedeutet ganz einfach, dass das Nervensystem die Reize von außen viel intensiver wahrnimmt und der Körper in der Lage ist, auf Außenreize viel schneller und präziser zu (re-)agieren als dies bei Normalsensiblen der Fall ist. Der Nachteil dabei ist, dass der Körper und das Nervensystem viel länger brauchen, um diese Reizflut zu verarbeiten.

Beim Schreiben dieses Posts gedenke ich gleichzeitig an

– Robert Enke (aktueller Bericht im Spiegel vom 10.11.2014, Bericht suite101, Sportbild; ; NDR –> die Hochsensiblen unter uns Lesern müssen unbedingt ab 19:30 – 21:40 schauen, hier werden einige Stärken der Hochsensibilität sichtbar; Sport Club; Podiumsdiskussion 2014)

– und Andreas Biermann (Bericht in der Zeit).

Im gleichen Atemzug möchte ich aber auch betonen, dass nicht jeder an Depression Erkrankte auch hochsensibel sein muss.

Ich fühlte damals mit Sebastian mit, als er an Depressionen erkrankte, habe ihm sogar eine Genesungskarte geschrieben – keine Ahnung, ob sie jemals ankam. Ich konnte so ungefähr nachfühlen, wie es ihm ging – ca. ein halbes Jahr vorher hatte ich meinen BurnOut.

Hier habe ich einen Artikel in der Zeit gefunden, in dem Sebastian interviewt wurde. (Weiterer Bericht der Zeit, man beachte dort insbesondere die Leserkommentare; DSF)

Ein weiteres sehr gutes Interview von Sebastian, was auf Hochsensibilität schließen lässt, wurde von 11 Freunde geführt. Folgendes Zitat kann nur von einem uneigennützigen Hochsensiblen kommen: „Mir ging es darum, andere neben mir gut aussehen zu lassen. Der Nebenmann merkt, oh, da kommt was Positives rüber, dann gebe ich zurück.“ So denkt der Durchschnitts-Fußballprofi nicht. Und genau das ist eine Stärke von Hochsensibilität!

Ich würde mir wünschen, Sportpsychologen und Sebastian Deisler selbst würden seine Sätze unter dem Aspekt der Hochsensibilität lesen. Sebastian würde wohl das Herz aufgehen…

Wie gerne würde ich mit diesem ehemaligen Spitzensportler einen Kaffee trinken gehen. Wie hilfreich wäre es wohl gewesen, wenn die Fachleute um Sebastian herum gewusst hätten, dass es so etwas wie Hochsensibilität gibt? Sowas macht mich traurig – ich spüre schon fast sowas wie Ohnmacht… Zum Glück hat er noch den Absprung geschafft. Was für ein Talent! Ich würde mich freuen, wenn er seine Fußballschule für Jugendliche eröffnen würde – der Mann braucht sinnvolle Arbeit…

Wisst ihr, wie sehr ich mich gerade zusammennehmen muss, um nicht laut durch meine Wohnung zu schreien? Das schreit doch nach einem hochsensiblen, empfindsamen Menschen. Es ist wirklich unglaublich!!!

Falls meine Vermutung mit der Hochsensibilität zutreffen sollte, hätte es ganz einfache Lösungsansätze für Sebastian gegeben, die seine Reizoffenheit im Zaum gehalten hätten:

– Weniger Auftritte in den Medien (er hatte sich ja schon selbst versucht zu schützen)

– Regelmäßige Ruhezeiten mit keinerlei Input, allein sein muss ermöglicht werden, keine anderen Spieler außenherum (selbst nette Unterhaltungen in kleinem Kreis können anstrengend sein)

– Einfachheit in Allem, insbesondere der Tagesstruktur (Reduzierung der Außenreize); lieber wenige und längere Tätigkeitsblöcke um sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren als viele und kurze Tätigkeitsblöcke (wie z.B. Aufstehen, Frühstück, Interview, kurze Trainingsphase, Autogrammstunde, nächste Trainingsphase, …); andere normalsensible Spieler können die vielen Außenreize besser filtern; für viele Trainerwechsel und viele Veränderungen in der Umgebung benötigen hochsensible Spieler mehr Gewöhnungszeit – Hochsensible sind Gewohnheitstiere, für die die Umgebung erst einmal für sie stimmen muss, damit sie ihre Leistung voll abrufen können

– Hochsensible machen sich aus monetären Mitteln nichts; sie benötigen dafür Ehrlichkeit im Miteinander und Zuspruch; Spieler wie Sebastian brauchen mehr mentalen Zuspruch und Unterstützung

nichts lesen, was die Medien über einen berichten. Nichts!

Längerfristige Auslandseinsätze müssen sorgfältig erwägt und geplant werden – andere Kultur, Sprache, Essen, Klima, Trainingsmethoden, Spielercharaktere sind alles Faktoren, die einen hochsensiblen Spieler viel leichter aus der Bahn werfen können als normalsensible Spieler. Die gesamte Umgebung muss bei einem Hochsensiblen einfach passen, damit er seine volle Leistung abrufen kann!

Hochsensible Fußballspieler brauchen unbedingt einen Ansprechpartner, der sie ernst nimmt. In der Bundesliga sollte es ein Psychologe sein! – in den Klassen darunter sollte es ein Betreuer oder was auch immer sein, der sich dediziert um solche Spieler kümmert (ob offiziell oder nicht, spielt keine Rolle). Hochsensible können Rückschläge viel schlechter verarbeiten als Normalsensible. Sie können nicht einfach einen Haken dran machen – das funktioniert so nicht!!!

Der hochsensible Spieler selbst muss wissen, dass es so etwas wie Hochsensibilität gibt. Ihm werden einige Dinge klarer werden und viele negativ behaftete Situationen von früher lassen sich so besser erklären und nachvollziehen. Es müssen im übrigen nicht alle Kriterien der Hochsensibilität zutreffen – es kann also durchaus hochsensible Fußballspieler geben, die gerne in der Menschenmasse einkaufen gehen oder die sich gerne Horrorfilme anschauen 😉

Wären diese Lösungsansätze im Profisport mit aktuell geforderter Medienpräsenz so überhaupt möglich?

Könnte mal bitte auch jemand mal Jogi Löw ins Ohr flüstern, dass Mesut Özil ebenfalls hochsensibel sein könnte? Ein Gedanke daran könnte wertvoll sein – für den Fußball als auch vor allem für Mesut selbst…

Wenn man um diese Umstände nicht weiß und man nach erfolgter Psychotherapie die Depression wieder im Griff hat, rauscht man nach kurzer Zeit (und unverändertem Verhalten) in die nächste depressive Phase… Deshalb berichten auch manche Depressive, dass sie eigentlich gar nicht so genau sagen können, warum sie überhaupt in diesen Zustand hineingeschlittert sind.

(Interview Beckmann, Jahr 2004; Traumziel Fußballstar 01 02 03 04 05 06; Sportschau; ZDF; DSF; Bericht in der Welt; Bericht bei 11Freunde)

Hier jetzt aber noch wichtige Zitate von ihm im Interview (aus der Zeit) – lest sie und denkt parallel dabei an Hochsensibilität und was sie ausmacht. Los gehts:

„Ich bin vielleicht empfindsam, aber nicht empfindlich, schon gar nicht schwach, wie viele denken.“

„Es war ein bisschen so, als sei ich auf eine ewige Klassenfahrt geraten. Da gibt es doch auch immer die Lauten, die Bestimmer – und die, die lieber um neun im Bett wären, aber bei der Kraftmeierei mitspielen, um nicht ausgelacht zu werden. So habe ich mich gefühlt. Ich wollte auch hart sein, grob sein. Das steht auch so im Buch: Abends habe ich in meiner Wohnung gesessen, jeder da draußen kannte mich, ich war fußballerisch ganz oben, vor der Tür stand ein dickes Auto, aber nichts davon hat mich glücklich gemacht. Ich habe mich gefragt: Und das soll jetzt das Ziel sein? Ich war todtraurig. Ich habe gegen meine Natur gelebt.“

„Wenn die anderen im Mannschaftsbus Karten gespielt haben, habe ich aus dem Fenster geschaut. Ich bin mit der U-15-Nationalmannschaft einmal nach Griechenland geflogen, die erste weite Reise, die der Fußball mir ermöglicht hat. Wie habe ich mich gefreut: Griechenland! Ich habe mir vorher Fotos angeschaut, mich da hineingeträumt. Als wir dann da waren, habe ich aus dem Bus ständig die Zitronenbäume angeschaut. Zitronenbäume in freier Natur, nicht im Gewächshaus!

„Ja. Aber ich will den anderen nicht vorwerfen, dass sie keine Zitronenbäume sehen. Man muss hart sein in diesem Geschäft, rigoros, zugreifend. Ich habe zu lange geglaubt, ich könnte fehlende Härte wettmachen durch besseren Fußball.“

„Fußball ist für mich keine finstere Schlacht, kein Krieg. Fußball ist doch etwas, das Freude bringen soll, oder?

„Wenn man sich einige dieser Journalisten genau anschaut, sagt man sich: Das ist ja ein Wahnsinn, dass die alles über mich schreiben dürfen! Diese Oberflächenschwimmer! Einige von denen haben keine Ahnung, kein Gewissen, aber die Macht, für Millionen Menschen ein Bild von mir zu zeichnen. Und wenn man dieses Spiel nicht mitspielt, wenn man ihren Ansprüchen nicht folgt, ist man derjenige, der als nicht normal gilt. Heute frage ich mich, ob das System, das ich verlassen habe, vielleicht kranker ist, als ich es war.“

„Ich habe versucht, die Probleme auf dem Fußballplatz zu lösen. Das hätte mir gereicht: ein gutes Spiel und zufriedene Menschen. Den ruhigen Weg gehen können, das habe ich mir damals gewünscht.“

Ich bin unglücklich geworden, als ich versucht habe, andere glücklich zu machen. Ich fühlte mich wie ein trauriger Clown.“

Zitat der Zeit: „Auffallend häufig erkranken sensible, hochbegabte Menschen, oft Prominente wie der Popmusiker Robbie Williams oder der Schriftsteller David Foster Wallace.“

„Bayern ist sein Traumverein – und Deisler hofft, zwischen all den Stars nicht mehr aufzufallen.“

Deisler: „Meine Schwester hat damals ihren Beruf als Arzthelferin aufgegeben und ist zu mir nach Berlin gezogen, damit ich jemanden zum Reden habe.“

„Ich habe mich nicht getraut, mit denen darüber zu reden. In der Bayern-Kabine Mensch zu sein ist gar nicht so leicht. Das schaffst du nur, wenn du dir sagst: Ich bin der Größte. Du baust dich auf und unterdrückst deine Gefühle.

„Ich habe lange gehofft, dass meine Freude am Spiel selbst so groß ist, dass ich alles andere wegdrücken kann. Aber das ging nicht.“

„Ich – und andere auch – hätte Zuspruch gebraucht.“

„Nach seiner Rückkehr aus der Klinik kann sich Sebastian Deisler aus dem Strudel von alten Ängsten und immer neuen Verletzungen nie mehr richtig befreien. Schubweise kehrt die Depression zurück. Felix Magath wechselt ihn spät ein oder früh aus – Deislers Können blitzt nur dann noch auf, wenn der Trainer ihn unangekündigt aufstellt, regelrecht ins Spiel wirft, sodass Deisler keine Zeit hat, Beklemmungen zu bekommen.“

Jürgen Klinsmann: „Für mich ist es die größte Enttäuschung, dass es uns nicht gelungen ist – und da meine ich alle in Deutschland –, Sebastian Deisler beim Fußball zu halten“

Uli Hoeneß: „Er ist einer der besten Spieler, die es in Deutschland je gegeben hat. Deswegen ist das so unverständlich. Aber diesen Kampf haben wir verloren“

„Wissen Sie: Einige haben mich hinter vorgehaltener Hand »die Deislerin« genannt. Die konnten mich nicht mehr ertragen. Und ich konnte damals auch ein paar Gesichter nicht mehr sehen. Ich habe bis heute niemandem zurückgeschrieben.“

„Im Kern geht es um die Frage, wie sehr es sich bei Deislers Geschichte um das Einzelschicksal eines sensiblen Menschen handelt und wie sehr um eine Parabel auf die menschenfressende Gier des Sportbusiness. Die größtmögliche Wucht öffentlichen Interesses schien ausgerechnet den verwundbarsten Menschen getroffen zu haben. Am Ende seiner Karriere stehen 135 Erstligaspiele, 36 Länderspiele, null WM-Teilnahmen.“

„Toll war: Das Spiel lief wie von alleine. Ich war eins mit ihm. Es kam zu mir.“

Ottmar Hitzfeld: „Dass Sebastian Deisler dem deutschen Fußball verloren gegangen ist, sollte uns alle nachdenklich machen“

Deisler: „Vielleicht werde ich das Oberbadische Volksblatt abonnieren. Ich will wissen, ob in der Nachbarstraße Bäume gepflanzt werden sollen. Ich hatte, als ich Profi war, meine Heimat verloren. Nein: Ich habe sie selber gestrichen. Ich dachte, dass ich nie wieder zurückkehren würde. Jetzt sitze ich auf meinem Balkon. Ich werde langsam ruhiger. Ich bin aber noch nicht da, wo ich sein will. Mir fehlt noch ein Viertel des Weges, glaube ich.“

„Vielleicht mache ich eine Fußballschule auf, hier in der Nähe. Einen Ort für Kinder und Jugendliche, die Spaß haben an diesem Sport. Diese Schule würde ich zu meinen Bedingungen führen, ohne Drill und ohne den Anspruch, kleine Helden hervorzubringen. Ich will endlich eine schöne Geschichte vom Fußball erzählen.

„Ich war nicht schwach. Ich war zu sensibel für das große Fußballgeschäft. Man muss härter sein als ich, schreiben Sie das ruhig. Das ist die Wahrheit. Und trotzdem habe ich immer weitergemacht. Ich hatte sieben Operationen! Und ich bin sieben Mal wieder aufgestanden! Sieben Mal!“